Dieses Interview erschien 2011, also vor dreizehn Jahren, im früheren Blog bwlzweinull.de von Matthias Schwenk, der mich damals noch als „Deutschlands Facebook-Expertin par Excellence“ vorgestellt hat. Diese Spezialisierung (wie auch das am Ende empfohlene Buch) von mir ist zwar Geschichte, die folgenden Antworten zum Thema digitale Kommunikation allgemein sind jedoch noch immer erschreckend aktuell. Interessant ist auch, dass meine Vorhersagen ziemlich zutreffend waren. Beides habe ich farblich hervorgehoben. Nachdem Matthias beim Redesign seiner Website das Interview nicht mitgenommen hat, hat er es mir dankenswerterweise zur Verfügung gestellt. Ich veröffentliche es hier also quasi als „historisches Dokument“:
Interview vom 1. März 2011
Matthias: „Immer mehr Unternehmen engagieren sich auf Facebook, sollen wir das auch machen?“, fragte mich neulich der Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens im Maschinenbau. Nach einer längeren Erörterung des Für und Wider, auch unter Abwägung von Alternativen, entschied er sich, in diesem Jahr erst einmal stärker auf YouTube zu setzen und Facebook noch zurück zu stellen. Kannst Du, Annette, das nachvollziehen oder hat dieser Geschäftsführer gerade einen strategisch verhängnisvollen Fehler gemacht?
Annette: Das kann ich so pauschal schwer sagen, wenn ich nicht weiß, was dieses Unternehmen genau tut und wer da die Kunden sind. Bietet der normale Webauftritt schon Dialogmöglichkeiten oder nicht? Wären überhaupt die personellen Voraussetzungen für eine Fanseite da (sowohl was Know How als auch was Zeit angeht). YouTube kann – mit den richtigen Videos – sehr effektiv sein. Aber weitergesagt werden die Videos dann doch wieder hauptsächlich über Facebook… Wer nicht da ist, verschenkt u.U. den besten Multiplikator, den das Web derzeit hat.
Matthias: Das B2B-Geschäft tut sich mit Dialogen im Web sehr schwer. Zudem sind viele Entscheider noch nicht auf Facebook aktiv, so dass man sie dort nur schwer erreichen kann. Allein schon der Gebrauch von Facebook ist in vielen Unternehmen nicht so gern gesehen, weil es als „Freizeitbeschäftigung“ und nicht als Arbeit gilt. Vor diesem Hintergrund hat sich mein Maschinenbauer entschieden, erst mal Content auf anderen Plattformen im Web zu publizieren, also Videos auf YouTube und Präsentationen auf SlideShare bzw. Scribd, die über Suchmaschinen gut zu finden sind. Solche Inhalte lassen sich später dann auch in eine Facebook-Seite integrieren.
Im Bereich B2C dagegen ist Facebook heute schon ideal. Sehr gut finde ich, dass man auf den Seiten (Pages) jetzt als Administrator auch unter seinem eigenen Namen schreiben kann, wodurch sich die Dialoge persönlicher gestalten lassen.
Annette: Ja, das neue Seitenlayout bietet den Administratoren viele lang ersehnte Vorteile.
Die Technik allein macht aber noch keine gute Kommunikation. Entscheidend ist die Interaktion.
Und da ist Facebook eben führend. Suchmaschinen listen inzwischen auch Suchergebnisse aus sozialen Netzwerken auf und oft auch weiter oben (weil gut verlinkt).
Nachhaltig erfolgreich sein kann also nur, wer aktiv in den Dialog einsteigt und Themen erkennt.
Content auch auf anderen Plattformen zu haben, ist suchmaschinentechnisch sicher von Vorteil und gerade bei YouTube und Scribd natürlich die externe Einbettbarkeit (sofern freigegeben).
Der Punkt am Einstieg ins Social Web sollte aber sein, dass man begreift, dass es hier um langfristig ausgerichteten Dialog und nicht um kurzfristiges Marketingdenken geht. Social Media bringen im Grunde nur die Art von Public Relations zurück, wie sie eigentlich gedacht ist: nämlich als authentische und transparente Kommunikation und nicht als Werbekanal.
Matthias: Authentisch kommunizieren kann man im Prinzip auch über ein Corporate Blog, wie das noch vor 3 bis 4 Jahren als Maß der Dinge vermittelt wurde. Interessant finde ich, dass damals nur wenige Unternehmen auf diesen Zug aufgesprungen sind, während heute bei den Facebook Seiten die Beteiligung enorm groß ist. Die Unternehmen sehen also, dass bei Facebook die Möglichkeiten zur Interaktion sehr vielfältig und die Viralität enorm groß sein kann. Dennoch wird das Potenzial oft noch verschenkt, weil noch zu stark in den Kategorien der klassischen Ein-Weg-Kommunikation gedacht wird, wie Du ja auch betonst.
Facebook selbst dreht die Schraube aber schon wieder ein Stück weiter und änderte zuletzt die Einstellungen im Newsfeed: Voreingestellt ist jetzt, dass man nur noch Mitteilungen von Freunden und Seiten sieht, mit denen man intensiv kommuniziert. Wie erklärst Du Dir diese Maßnahme?
Annette: Die meisten Nutzer machen keinen oder nur wenig Gebrauch von den bereits vorhandenen Filtermöglichkeiten. Aber je mehr Vernetzungen man eingeht, desto unübersichtlicher wird der Nachrichtenstrom (Newsfeed).
Facebook hat jetzt den Nutzern das Filtern basierend auf ihrem Nutzerverhalten kurzerhand abgenommen. Gefiltert wird nach dem sogenannten Edge Rank. Der berechnet sich vor allem daraus, ob ein Nutzer oft mit dem Absender eines Beitrags interagiert und ob generell viel mit diesem Beitrag interagiert wird.
Damit werden jetzt v.a. Betreiber von Fanseiten dazu gezwungen, Inhalte zu veröffentlichen, die zu viel Interaktion führen. Denn nur so schaffen es ihre Beiträge in den Nachrichtenstrom der Fans und damit u.U. auch in den ihrer Freunde. Entscheidend ist dabei nicht die Anzahl der Fans, sondern das Verhältnis von Angezeigtwerden (impressions) und Interaktion (feedback).
Wer nicht möchte, dass Facebook seinen Nachrichtenstrom filtert, kann es übrigens auch wieder abstellen. Fragt sich allerdings, wie viele das auch machen werden.
Ich erlebe immer wieder, dass vielen Nutzern bereits Grundkenntnisse über die Plattform, die sie da nutzen, fehlen.
Dass Facebook sich permanent weiterentwickelt, macht ihnen Angst.
Aber Social Media sind nun mal nichts Statisches, sondern auch nur ein Stück Weg hin zur Kommunikation der Zukunft. Nur wie die aussehen wird, das weiß jetzt noch keiner. Sicher ist jedoch, dass Facebook dabei eine führende Rolle spielen wird.
Matthias: Die Grundkenntnisse in Sachen Facebook fehlen nicht nur vielen privaten Nutzern, sondern auch Unternehmen. Zudem ist die von Dir betonte ständige Weiterentwicklung dieser Plattform eine echte Herausforderung, weil sie erforderlich macht, sich nicht nur auf der Ebene der Inhalte, sondern auch konzeptionell intensiv damit zu befassen.
Die Ressourcen, die man in den meisten Unternehmen für Social Media bereitstellt, reichen für beides aber oft noch nicht aus. Es wird einfach nicht gesehen, dass Facebook noch kein fertiges Produkt ist. Die Dynamik auf Facebook rührt aber nicht nur aus den Entwicklungen auf der technischen Ebene, sondern auch aus der Art und Intensität der Nutzung durch die Menschen.
Auf dieser Ebene wird es sicher zu Lerneffekten kommen und vielleicht auch zu neuen sozialen Normen, was das Kommunikationsverhalten betrifft. Die von dir beschriebene Situation der heute vielfach noch fehlenden Grundkenntnisse könnte sich also stark wandeln.
Ebenso vorstellbar ist aber auch, dass sich viele Menschen wieder von Facebook abwenden werden, weil ihnen dieses Social Network zu komplex und undurchsichtig wird. Allerdings bedarf es dazu dann auch geeigneter Alternativen.
Mein Eindruck ist, dass die junge Entwicklertruppe rund um Mark Zuckerberg sich kaum in die Gemütslage und den technischen Horizont der meisten ihrer Kunden bzw. User hineinversetzen kann und damit Gefahr läuft, diese irgendwann zu überfordern und gegen sich aufzubringen. Wie siehst Du das?
Annette: Ich hoffe sehr, dass sich die Verständnisprobleme irgendwann legen. Dazu versuche ich ja auch beizutragen…
Der jetzige Kommunikationswandel wird gern mit dem verglichen, der durch die Erfindung des Buchdrucks ausgelöst wurde. Damals konnte die Masse der Leute aber noch gar nicht lesen. Das gedruckte Buch brachte ihnen also zunächst auch nicht mehr als das Handgeschriebene. Die Situation jetzt ist ähnlich, wobei aber der jetzige Wandel durch die rasante technische Entwicklung viel schneller vonstatten geht. Je später man da einsteigt, umso unüberschaubarer wird es.
Es ist also wichtig, Medienkompetenz unter die Leute zu bringen, quasi eine neue Art der Alphabetisierung. Sonst wird die Schere zwischen denen, die mitkommen, und denen, die das nicht tun, immer größer.
Egal, ob das private oder geschäftliche Nutzer sind. Für letztere ist es besonders wichtig, zuerst die Grundprinzipien von Social Media zu begreifen, bevor sie die Möglichkeiten von Facebook und Co. sinnvoll nutzen können. Momentan rennen alle nur hin, ohne wirklich zu wissen, was sie da tun.
Ich bezweifle übrigens, dass es so bald eine echte Alternative zu Facebook geben wird. Dazu ist die Bandbreite der Möglichkeiten, die diese Plattform bietet, einfach zu groß.
Facebook hat immerhin auch sieben Jahre gebraucht, um bis hierher zu kommen. Die haben noch viel vor! Und wenn man neuesten Meldungen glauben darf, dann arbeitet man bei Facebook nicht nur an technischen Neuerungen, sondern auch an Verbesserungen der eigenen Kommunikation.
Matthias: In Sachen Medienkompetenz und der geforderten neuen Art von „Alphabetisierung“ kann ich Dir nur zustimmen. Immerhin führt der aktuelle Hype um Facebook oder auch das iPad von Apple gerade sehr vielen Menschen vor Augen, wie weitreichend der aktuelle Medienwandel ist. In diesem Sinne bleibt mir nur Dir für das Gespräch zu danken und unseren Lesern Dein Buch zu empfehlen.
Titelfoto: Joanjo Puertos Muño, Pixabay